Von Flohkisten und Russensuppen

Meine Eltern kauften seinerzeit die "Sonner-Keusche" in Tresdorf Nr. 4, damit wir wieder ein eigenes Zuhause hatten. Es war schon bitterkalt, als wir das Haus beziehen konnten. Bei unserem "neuen" Heim handelte es sich um ein Parterrehaus aus Holz, welches. laut einer in einem Holztram eingeschnitzten Jahreszahl, um 1670 erbaut worden war. Das Haus war somit über 250 Jahre alt und bestand aus nur zwei Wohnräumen und einer verrußten Dachkammer, die zum Speckselchen benützt wurde. Das Schlafzimmer war nicht beheizbar, weil kein Kaminanschluss vorhanden war. In der Küche befand sich schon ein mit Steinen und Lehm aufgemauerter Sparherd (Aufsatzherd mit eingebautem Wasserschiff). Untere Vorbesitzer waren zwar aus dem Haus ausgezogen, aber die "Ureinwohner" (Russen, Schaben und Wanzen), welche zu Tausenden vertreten waren, hatten sie leider zurückgelassen. Die Russen hielten sich mit Vorliebe in Herdnähe auf, während sich die Schaben und Wanzen tagsüber hauptsächlich in den Klüften der Holzwände verborgen hielten. Die Russen hatten es überwiegend auf Speisen abgesehen. Wenn ein Topf oder eine Pfanne nicht gut abgedeckt war, dauerte es nicht lange und die Überraschung war perfekt. Oft schwammen dann zahlreiche "Russen-Leichen" in der Suppe, der Milch und dergleichen ...

Schon ein halbes Jahr nach dem Einzug in unser "neues" Haus war die Kinderzahl auf fünf angestiegen. Somit ergab sich eine katastrophale Raumnot. Die Küche musste unbedingt auch als Schlafraum für die Kinder genützt werden. Vater ließ ein Bett in überdimensionaler Größe anfertigen, welches vier Kindern als Schlafstätte diente. Es war wie eine Truhe gefertigt. Mittels eines angepassten Deckels konnte man die legendäre "Flohkiste" zumachen. Das Tafelbett konnte somit tagsüber noch zusätzlich als Sitzgelegenheit verwendet werden. Ein unter den Deckel geklemmtes Holzscheit diente der Sauerstoffzufuhr für die Kinder. Trotz dieser ärmlichen Umstände hatten wir eine glückliche Kindheit.

 

erzählt von Josef Suntinger

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