Als die Glocken stumm blieben

Es ist bekannt, dass zwischen Karfreitag und Ostersonntag die Kirchenglocken “ausfliegen”. Dass die Glocken auch zu anderen Zeiten im Jahr das sonst so vertraute Betläuten nicht verbreiten, gehört nicht zum üblichen Ablauf. An einem kalten Wintertag Ende der Siebzigerjahre blieben sie allerdings still. Der Pauler Tone, erfahrener Messner und Verantwortlicher für das zeitgerechte Betläuten, machte sich - wie fast an jedem Tag (ab und zu wurde er durch den Pauler Peter oder Franz vertreten) auf den Weg zur Kirche und zog an den abgewetzten Stricken, um das gewohnte Läuten in Gang zu setzen. Er mag wohl seinen Ohren nicht getraut  haben:  Kein  einziger Ton war zu hören. Fester fasste er den Strick, versuchte  die  typische Glockenzieherbewegung noch rhythmischer durchzuführen, allein - die Glocken blieben stumm. In seiner Verzweiflung stieg er die Leiter hinauf zu der Luke, die Einlass in den Turm gewährt, um das rätselhafte Schweigen der Glocken näher zu untersuchen. Jedoch: Die Luke war von innen verschlossen. So eilte der Tone aufgeregt zum nahe gelegenen Plaschnig, vielleicht, um sich zu vergewissern, ob er nicht plötzlich schwer-hörig geworden sei, vor allem aber, um  Hilfe  zu  suchen.  Aber  auch  im Hause Plaschnig herrschte zunächst Ratlosigkeit. Schließlich entschied man sich, der Angelegenheit auf den Grund zu gehen. Allen voran die beiden Freunde Plaschnig Franz und Mar Helmut. Nach mühevoller Kleinarbeit gelang es, die von innen verbarrikadierte  Luke  doch  zu  öffnen. Vorsichtig bestiegen die Männer den Turm. Die Verwunderung war groß, als sie  bei den Glocken angelangt,  sahen, dass die Klöppel vollständig mit  Zeitungspapier  und Klebeband umwickelt waren - und zwar so dick, dass sie beim Anschlag keinen Laut mehr von sich gaben. Dem Pauler Tone  fiel  ein  Stein vom Herzen: Die Glocken selbst waren jedenfalls noch in Ordnung. Bald war das Papier entfernt und der Klang der Glocken zum Betläuten legte sich wieder über das Dorf. Ungelöst blieb das Rätsel, wer die Glocken auf diese Weise zum Verstummen gebracht hatte. Ungelöst? Der Pauler Tone hatte da schon seinen Verdacht. Nicht selten sind die Täter die eifrigsten  Helfer ...

erzählt von Helmut Kerschbaumer

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